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Abdulrazak Gurnah: „Das verlorene Paradies“ – Die Fremden mit den Eisenschädeln
Frankfurter Rundschau
Zur Nobelpreisverleihung am Freitag erscheint Abdulrazak Gurnahs „Das verlorene Paradies“ neu.
Als Abdulrazak Gurnah, geboren 1948 im Sultanat Sansibar, im Oktober den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, hieß es in der Begründung der Schwedischen Akademie, er erhalte die Auszeichnung „für seine unbestechliche und leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Kolonialismus und dem Schicksal der Flüchtlinge im Spannungsfeld zwischen den Kulturen und Kontinenten“. Wer hierzulande den Namen noch nie gehört hatte (die allermeisten auch unter den Literaturinteressierten), wer gleich Lust hatte, wenigstens einen der Romane des Preisträgers zu lesen, erfuhr, dass einige um die letzte Jahrtausendwende ins Deutsche übersetzte Bücher allesamt längst vergriffen waren. Heute erscheint immerhin eines von ihnen in durchgesehener Übersetzung wieder, „Das verlorene Paradies“ (Orig. „Paradise“, 1994).
Gurnah, dessen Muttersprache Swahili ist, kam mit 20 als Flüchtling nach Großbritannien, wo er promovierte und an der University of Kent Englisch und postkoloniale Literaturen lehrte. Dass sich die Schwedische Akademie, wenn schon einmal wieder für einen Afrikaner, erneut für einen in englischer Sprache Schreibenden entschied, wurde kritisch angemerkt. Wenn es ihr jedoch um eine andere Perspektive auf den Kontinent und seine bittere Geschichte ging, darum, die Aufmerksamkeit europäischer Leserinnen und Leser auf die Wahrnehmung der Kolonisatoren durch die Kolonisierten zu lenken, dann ist diese auf anregende Weise fremde Perspektive bei Gurnah nicht nur zu finden, sondern allemal auch scharf gestellt.
Schauplatz von „Das verlorene Paradies“ ist Ostafrika, vor allem das heutige Tansania, vor dem Ersten Weltkrieg. Der zwölfjährige Yusuf, sein Vater führt ein kleines Hotel, wird dem reichen Händler Onkel Aziz ausgehändigt und mitgegeben, um Schulden seiner Familie abzuarbeiten. Anlernen wird ihn in Aziz’ Laden der nur um einige Jahre ältere Khalil, der von seinem ebenfalls verschuldeten Ba zusammen mit seiner Schwester verpfändet wurde. Diese arbeitet im prächtigen Haus des Händlers, wo sich eine kranke „Mistress“ versteckt (oder versteckt wird). Ein herrlicher Garten spielt noch eine Rolle, der Yusuf magisch anzieht, so dass er sich nicht vom mürrischen alten Gärtner abschrecken lässt.