„Was zur Hölle war das?“ Die Ukraine fiebert mit – dann kommt die Nachricht über den Putin-Deal
Frankfurter Rundschau
Der Wagner-Putschversuch hat die Fantasie beflügelt. Aber nicht nur in Kiew sah man in ihm einen Rückschlag für Kremlchef Putin.
Kiew – Der Putsch in Russland ist ausgeblieben. Jewgeni Prigoschin und seine Söldner sind nicht in Moskau einmarschiert. In Kiew herrscht tiefe Enttäuschung und Fassungslosigkeit. „Wir haben alle jedes einzelne Update auf Telegram verfolgt“, zitiert der Guardian einen Einwohner der ukrainischen Hauptstadt. „Wir waren so glücklich und überrascht.“
Der Aufstand Prigoschins, Chef der Wagner-Gruppe, hatte in der Ukraine Hoffnungen auf eine Wende im Ukraine-Krieg geschürt. Den ganzen Samstag waren die Kiewer Einwohner in freudiger Erwartung, berichtet der Korrespondent der britischen Zeitung. Viele weigerten sich zunächst zu glauben, dass der von Belarus vermittelte Deal mit Kremlchef Wladimir Putin real sein konnte, schreibt er.
Vielmehr überschlugen sich auf Telegram die Geschichten, dass sich im Ukraine-Krieg das Blatt bald wenden würde. Es kursierte ein Gerücht, dass sich Dutzende russische Einheiten von der Front im Ukraine-Krieg zurückziehen – und sich in Russland dem Aufstand Prigoschins anschließen würden, so der Guardian. Andere behaupteten, Hunderte russische Soldaten würden die besetzten Gebiete verlassen, um sich der Wagner-Gruppe anzuschließen. Dann hieß es, dass belarussische Partisanen ebenfalls einen Putsch zum Sturz des Lukaschenko-Regimes vorbereiteten.
„Dann war es plötzlich so weit! Ende des Films“, sagte ein 27-jähriger Student. „Es ist nichts passiert … ich war so enttäuscht.“ „Was zur Hölle war das?“, klagte eine 59-jährige Lehrerin laut Guardian. „Russlands Schwäche ist offensichtlich“, zeigte sich ein anderer Kiewer zuversichtlicher. „Je länger Russland seine Truppen und Söldner in unserem Land lässt, desto mehr Chaos, Schmerz und Probleme wird es später erleben.“
„Das Durcheinander in Russland gibt dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und seinem Volk einen starken Auftrieb, wenngleich er sich nicht zu früh freuen sollte“, kommentierte indes die Londoner Sunday Times. „Die kürzlich gestartete ukrainische Gegenoffensive konnte noch nicht die entscheidenden Siege erringen, auf die einige gehofft hatten. Prigoschins vorläufiger Rückzug eines Großteils seiner Streitkräfte aus der Ukraine wird dabei aber nützlich sein.“