„Unhinterfragte Klischees sind gefährlich“
Frankfurter Rundschau
Die Leiterin des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht, Johanna Wenckebach, über den Gender Pay Gap, Löhne in der digitalen Arbeitswelt, und prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Plattformökonomie.
Der Gender Pay Gap beschreibt die Lohnlücke – also den Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn von Männern und Frauen. Derzeit liegt die Lohnlücke laut Statistischem Bundesamt bei 18 Prozent, bis 2030 will die Bundesregierung sie auf zehn Prozent drücken. Ein Hoffnungsträger ist dabei auch die Digitalisierung: neue Jobs, faire Bezahlung. Im Interview spricht Johanna Wenckebach, Leiterin des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht (HSI), über die Versprechen der digitalen Arbeitswelt, diskriminierende Algorithmen und alte Klischees.
Frau Wenckebach, vor fünf Jahren hat das Beratungsunternehmen Accenture die Digitalisierung als „entscheidenden Wegbereiter zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Frauen am Arbeitsmarkt“ bezeichnet. Hat die digitale Arbeitswelt dieses Versprechen erfüllt?
Wenn wir auf die Daten schauen, dann machen wir Rückschritte. Zum Beispiel bei der Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit, die immer noch im Wesentlichen von Frauen übernommen wird. Die Folge ist ein geringerer Anteil an bezahlter Arbeit, was sich wiederum negativ auf die Rente auswirkt. Wir haben immer noch ein Gender Pay Gap und wir haben immer noch die Rentenlücke von Frauen – das spricht dafür, dass Digitalisierung nicht der Problemlöser dieser gesellschaftlichen Schieflagen gewesen ist.
Warum nicht?
Natürlich hat die Pandemie eine Rolle gespielt. Dass die Kinderbetreuung weggefallen ist, ist ein wesentlicher Faktor. Aber Digitalisierungsprozesse sind beides nicht: weder eine riesige Bedrohung, die alles in Frage stellt, noch der große Heilsbringer, der Ungerechtigkeiten mit Technik auflöst. Digitalisierung schreibt gesellschaftliche Strukturen in der Technik fort. Technik ist nicht diskriminierungsfrei. Es besteht sogar das Risiko, dass Diskriminierung in Prozessen der Digitalisierung effizienter und gleichzeitig unsichtbar und damit schwerer zu beseitigen wird. Zum Beispiel bei Bewerbungsverfahren.