„Schwarzfahren“? – Wer sich gestört fühlt, hat recht
Frankfurter Rundschau
Das Wort „schwarzfahren“ löst negative Gefühle aus. Sollte es deshalb verschwinden? Über den sensiblen Umgang mit Sprache.
Es löste seit jeher gemischte Gefühle bei mir aus, wenn der treibende, orientalisch gefärbte Beat des Rolling-Stones-Hits „Paint It Black“ aus dem Jahr 1966 erklang. Die Trauer über den Verlust einer Geliebten schien alles tiefschwarz zu färben, sogar die Sonne. Sonderbar an dem Text von Mick Jagger aber war weniger die Beschreibung einer Depression, sondern vielmehr der rebellische Gestus, in dem es vorgetragen wurde. Der Stimmung, in der sich alles verdüstert, scheint das lyrische Ich sogleich eine aggressive Aktivität entgegensetzen zu wollen. Im Stück heißt es „I see a red door and I want it painted black“. Es spielt sich in der Vorstellung ab, aber unmissverständlich hat der Titel Aufforderungscharakter: „Mach es schwarz“. Brian Jones spielt dazu eine indische Sitar, sie verleiht „Paint It Black“ eine markante Note, und Mick Jagger hat es einmal als eine Art türkisches Lied bezeichnet. Tatsächlich weist „Paint It Black“ Ähnlichkeiten auf mit Erkin Korays „Bir Eylül Aksami“. Wenn es sich dabei nicht um ein Plagiat handelt, dann zumindest aber um ein Stück kultureller Aneignung, gegen die inzwischen weithin schwere Vorbehalte als die Verletzung von Urheberrechten erhoben werden. Und wer wollte bestreiten, dass sich die Rolling Stones dessen schuldig gemacht haben, die Musik der Schwarzen nachhaltig in die Lebenswelt der Weißen eingepflanzt zu haben? Was aus großer Verehrung gegenüber dem aus Unterdrückung und Sklaverei hervorgegangenen Blues übernommen wurde, steht nun im Verdacht, bloß eine weitere Form der kulturellen Enteignung zu sein. Vielleicht rührt daher die Ambivalenz, die „Paint It Black“ seit jeher hervorgerufen hat? Die Rolling Stones sitzen derzeit aber nicht auf der Anklagebank. Ohnehin wird vielen Verdachtsverfahren mit vorauseilendem Gehorsam und anderen Rückrufaktionen begegnet. Das jüngste Beispiel ist der Verzicht auf das Wort „schwarzfahren“ als umgangssprachliches Synonym für das Fahren ohne Fahrausweis in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wobei die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in diesem Zusammenhang betonen, gar nichts zurückrufen zu müssen. „In offiziellen Schreiben oder Dokumenten der BVG sei das Wort noch nie verwendet worden“, so eine BVG-Sprecherin. Es sei schon immer vom „Fahren ohne gültigen Fahrschein“ die Rede gewesen.More Related News