
„Nuhr im Ersten“: Der alte weiße Mann ist zurück
Frankfurter Rundschau
„Nuhr im Ersten“, die Kabarettsendung mit Dieter Nuhr in der ARD, ist zurück aus der Sommerpause. Die TV-Kritik.
Frankfurt – Dieter Nuhr ist zurück aus der Sommerpause. Und es hat sich einiges über die freien Tage angestaut bei Gastgeber Nuhr. Was war in der langen Sommerpause passiert? Diskussionen um kulturelle Aneignungen – Stichworte: Dreadlocks, Karl May, Winnetou – und die dem alten weißen Mann so verhasste gendergerechte Sprache. Das alles auch noch, ohne dass sich Gastgeber Nuhr dazu wöchentlich zur Primetime in der ARD äußern durfte. Es wird sich für Nuhr, der zum Glück nicht verstanden hat, wie Twitter funktioniert, wie Zensur angefühlt haben müssen.
Ab der ersten Sekunde sprudelt es deshalb nur so aus Dieter Nuhr heraus: Seine minutenlange Begrüßung wird zu einer Aneinanderreihung reflexhaft abwehrender Witze über Wokeness in gesellschaftlichen Debatten und gendergerechte Sprache und Karl Mays „Winnteou“-Romane. Manisch stammelt der Gastgeber mit weit aufgerissenen Augen minutenlang zusammenhanglose Pointenversuche der Güteklasse „Hänchen:innenfilet“ in die Kamera. Es sollen alle wissen, dass der 61-Jährige sich unverstanden fühlt und nicht bereit ist, sich selbst und sein Verhalten auch nur im Ansatz zu reflektieren. Dass er dabei in drei Minuten all das mit Füßen tritt, für das Menschen eintreten, die auf die strukturelle Diskriminierung marginalisierter Gruppen hinweisen und einen respektvolleren Umgang der Menschen in der Gesellschaft herbeiführen möchten, ist dem Kabarettisten herzlich egal.
Der alte weiße Mann auf der Kabarettbühne versucht stattdessen, sich mit seinem Publikum unter dem diffusen Gefühl des Credos „Man darf ja nichts mehr sagen!“ zu verbünden. Und das schafft Dieter Nuhr zumindest im Fernsehstudio während der Aufnahme seiner Show. Das ist auf eine morbide Art und Weise sogar beeindruckend: Denn während Dieter Nuhr seinem Publikum den vollen Sermon präsentiert, was man heute ja nichts mehr sagen darf, befinden sich alle Beteiligten noch immer in einem Fernsehstudio, in dem aufgezeichnet wird. Und so dürfen der Kleinkünstler vom Niederrhein und seine Gäste in der mittlerweile 15. Staffel wöchentlich zur besten Sendezeit 45 Minuten lang ungefiltert ihren Stuss in die Kameras der ARD stammeln. Und das ist nicht nur das Gegenteil einer „Man darf ja nichts mehr sagen!“-Zensur. Es ist zudem auch brandgefährlich.
Denn Nuhr nutzt seine Show und seine Reichweite dazu, um die Schwächsten in unserer Gesellschaft verächtlich zu machen. Spricht er in Bezug auf eine inklusive Sprache davon, dass nun „Achtsamkeit das Gebot der Stunde“ sei, so tut er dies, um das Thema zu diskreditieren. Ganz bewusst schafft Dieter Nuhr ein Framing, das den wissenschaftlich fundierten Ansatz der Intersektionalität infrage stellt. Für den Kabarettisten ist das Schaffen einer diskriminierungsfreien Sprache eben nur Lifestyle. Deshalb framed er dies mit dem Begriff „Achtsamkeit“ und will so den Eindruck entstehen lassen, dass Antidiskriminierungsarbeit nichts mehr als der Ausdruck eines Instagram-„Hygge“-Hypes mit Sonnenuntergangsbildern mit motivierendem Spruch sei.
In diesem Narrativ über die Lifestyle-Linke angekommen, braucht Dieter Nuhr sich selbst und seine Position als alter weißer Mann nicht mehr zu hinterfragen. So geifernd, wie er sich über das Thema in seiner Sendung „Nuhr im Ersten“ echauffiert, ist er dazu womöglich auch nicht mehr in der Lage. Was am Rest des Abends folgt, ist eine Tirade über „postkolonialistischen Bildungsterror“ und die Stilisierung Karl Mays „Winnteou“-Bücher als Werke mit tatsächlich pädagogischem Mehrwert.