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„Kunst für Keinen. 1933-1945“: Des Rächers Gemächt als Männchennase
Frankfurter Rundschau
Die Ausstellung in der Schirn Kunsthallezeigt, wie unterschiedlich Künstlerinnen und Künstler in Deutschland im Verborgenen arbeiteten.
Kunst für Keinen“ - was für ein seltsamer Titel. Kunst produziert man ja in der Regel, um sie zu zeigen. Weil den Künstler oder die Künstlerin etwas bewegt, das er oder sie der Welt mitteilen will. Aber natürlich wird uns gerade jetzt wieder besonders bewusst, dass es Konstellationen von Zeit und Ort gibt, in denen man das, was man denkt, weder sagen noch zeigen darf, ohne sich der Gefahr von Gefangenschaft oder Tod auszusetzen. Die Kunst, die derzeit in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen ist, stammt aus den Jahren 1933-45, der Zeit, in der die Nationalsozialisten die Kunst in Deutschland kontrollierten, zensierten, der Lächerlichkeit preisgaben.
Es sind Bilder, Fotografien und Skulpturen von 14 Frauen und Männern, die damals – trotz Diffamierung – in Deutschland gelebt haben, weil sie nicht weg konnten oder wollten. Um in der Isolation und ohne Publikum weiter arbeiten zu können, verfolgten sie unterschiedliche Strategien. Wobei die Ausgrenzung, die viele diese Künstlerinnen und Künstler erfuhren, teilweise gar nichts mit ihren Werken, sondern mit ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung oder ihrer Homosexualität zu tun hatte. Dementsprechend haben die ausgestellten Arbeiten stilistisch kaum etwas miteinander zu tun.
Jeanne Mammen zum Beispiel, von der man bisher vornehmlich Illustrationen im Stil der Neuen Sachlichkeit kannte, ist hier mit verstörenden kubistischen Gemälden vertreten. Inspiriert wurde sie von Picassos „Guernica“, das sie 1937 in der Weltausstellung in Paris gesehen hatte. Ihre dramatisch zerklüfteten Kompositionen zeigen Sterbende und Strauchelnde in beunruhigender Farbigkeit. Keine Frage: Das war brandgefährlich. Ihr Atelier durfte keiner betreten, die Bilder blieben jahrelang für sich.
Auch von Hannah Höch, die man bisher vor allem als Dada-Aktivistin wahrgenommen hat, zeigt die Ausstellung vergleichsweise drastische Gemälde, die - wenn auch nicht explizit - von der politischen Situation in Deutschland künden. Sind in dem Ölgemälde „Wilder Aufbruch“, das direkt nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 entstand, noch zwei eigenwillige Wesen mit wütend-düsteren Blicken vor glutrotem Hintergrund zu sehen, so scheinen dieselben Wesen in „1945 (Das Ende)“ zermürbt und verhärmt. Die Nazis waren für Höch eine „viehische Bande“. Ein „so blutrünstiges Geschmeiß (hat) diese Erde noch nicht getragen“, schrieb sie 1946 in ihr Tagebuch.
Anders ging Willi Baumeister vor, den man 1933 als Professor für Gebrauchsgrafik an der Frankfurter Kunstgewerbeschule (heute Städelschule) entlassen hatte. Auf die Verfemung seiner Kunst reagierte er mit einer massiv gesteigerten Produktivität, allerdings wichen seine früheren konstruktivistischen und gegenständlichen Arbeiten nun abstrakten biomorphen Formen, waren also vergleichsweise unverfänglich. Dass Baumeister sich sehr wohl kritisch mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik auseinander setzte, demonstriert eine Reihe von Postkarten, mit Aktdarstellungen von „Reichsschamhaarmaler“ Adolf Ziegler, die Baumeister auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ erworben und satirisch bearbeitet hat, so dass das Schamhaar der dargestellten Frauen zum Spitzbart darauf gezeichneter Männer umgedeutet wird. Analog erscheint auf der Abbildung eines Reliefs von Arno Breker der Penis eines kämpfenden „Rächers“ als Nase eines Männchens mit Fliege.