
„Intensiv“ - ein Notruf aus der Krankenpflege
Frankfurter Rundschau
Ricardo Lange hat schon viel erlebt als Pfleger auf der Intensivstation - nicht erst seit Corona. In seinem Buch „Intensiv“ schreibt er über völlig entkräftetes Personal - und über den Wert der Pflege.
Berlin - Klatschende Menschen auf Balkonen und an Fenstern - es sind Bilder, die zu Pandemiebeginn im Frühjahr 2020 durch die Nachrichten gingen. Doch was als Zeichen der Dankbarkeit für Ärzte, Ärztinnen und Pflegekräfte im Corona-Dauereinsatz gedacht war, hat bei vielen Angesprochenen auch für Frust gesorgt.
„Ich weiß, dass viele Menschen von Herzen geklatscht haben“, sagt der Intensivkrankenpfleger Ricardo Lange fast zwei Jahre später im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Aber für uns hat sich dadurch wenig geändert.“ Corona wirke wie ein Brennglas für den schon lange gravierenden Pflegenotstand in Deutschland, der tiefe Gräben im Gesundheitssystem hinterlasse. So tief, dass Lange das Buch „Intensiv - Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist. Ein Notruf“ geschrieben hat.
Der 40-jährige Brandenburger Lange, der am Rand von Berlin lebt, ist in der Pandemie für viele so etwas wie ein Gesicht der prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege geworden. Deutschlandweite Berühmtheit erlangte er über Social Media, eine Kolumne und als er im vergangenen Jahr vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Bundespressekonferenz eingeladen wurde, um dort über den Krankenhausalltag zu sprechen. In seinem Buch schreibt er nun darüber, was ihn seit Corona umtreibt, wie er die Situation der Pflege seit Jahren erlebt und was sich ändern muss.
Es ist eine einfache Rechnung: Wenn nicht genug Personal zur Verfügung steht, muss jede und jeder mehr stemmen als eigentlich zumutbar. Für die Intensivpflege, so schreibt Lange, bedeute der zunehmende Personalmangel, dass eine Fachkraft nicht mehr wie vorgesehen zwei Patienten gleichzeitig versorgen müsse, sondern eher drei, nicht selten sogar noch mehr. Die Folgen: permanente Überanstrengung und eine wachsende Diskrepanz zwischen dem Anspruch an die Patientenbetreuung und der von Zeitmangel geprägten Realität. Hinzu kämen unzulängliche Bezahlung und mangelnde Wertschätzung.
Lange, der nach seiner Schilderung seit einigen Jahren für eine Zeitarbeitsfirma eingesetzt ist, beschreibt in „Intensiv“ Erfahrungen aus etwa zwölf Jahren Klinikalltag. Übermannende Erschöpfung bis zum Einnicken an der Ampel auf dem Heimweg, die Angst, Fehler zu machen, die über Leben und Tod entscheiden könnten. Nachvollziehbar erscheint die Panik, die der ausgebildete Intensivpfleger einmal empfunden habe, als er wegen Unterbesetzung auf einer Kinderstation eingeteilt worden sei und eine fachfremde Verantwortung habe schultern müssen, der er sich nicht gewachsen fühlte.