„Ich weiß nicht, ob ich die Russen hasse. Ich weiß überhaupt nicht, was ich fühle“
RTL
RTL-Reporter Christian Berger berichtet aus Borodjanka in der Ukraine. Eine Stadt, von der er sagt: Sie hat die Apokalypse gesehen.
Borodjanka ist ein Ort, der die Apokalypse gesehen hat – so beschreibt unser Reporter Christian Berger die Stadt, die etwa 30 Kilometer vor den Toren Kiews liegt. Niemand weiß, wie viele Menschen noch in den Trümmern liegen, wie viele Massengräber noch gefunden werden. Die Bewohner sind traumatisiert. Lesen Sie hier seine eindrückliche Reportage.
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Wenn man Kiew verlässt und Richtung Norden fährt, nimmt mit jedem Kilometer das Ausmaß der Zerstörungen zu. Wir sind auf dem Weg nach Borodjanka, etwa 30 Kilometer vor den Toren der Stadt. Immer wieder Checkpoints, an denen die Soldaten in der Regel die Journalisten freundlich durchwinken. Links und rechts sehen wir in den Wäldern Schützengräben und Stellungen. Die Russen sind abgezogen. Aber man traut der Ruhe nicht. Belarus ist nicht weit.
Der belarussische Diktator Lukaschenko mit seinen Truppen ist eine mögliche Gefahr. Wir passieren Irpin. Teile des Ortes sind in Schutt und Asche gelegt. Die Häuser sind oft ausgebrannte Ruinen, stumme Zeugen der schweren Kämpfe hier. Einwohner erzählen uns, dass die russischen Armee zu Beginn der Offensive sich noch einigermaßen normal verhalten habe. Doch als der russische Vorstoß stecken blieb, rächte sich die russische Armee mit dem wahllosen Beschuss von Städten wie Irpin.
Wir kommen nach Butscha. Was auffällt: Die Straßen sind wieder von allem Kriegsgerät leer geräumt. Bautrupps bessern die Straßen aus. Die Behörden versuchen, wo immer es geht, die Spuren des Krieges zu beseitigen. Das gelingt an vielen Stellen erstaunlich schnell. Nur nicht in Borodjanka. Der Ort gehört zu den am schwersten zerstörten im Norden des Landes. Vor allem das Zentrum. Die Hochhäuser sind regelrecht zerfetzt worden. Wie viele Menschen noch unter den Trümmern liegen, weiß keiner. Die Bewohner hatten sich in die Keller geflüchtet, die dann zur Todesfalle wurden.
Gerade wird in einem Sarg ein junger Mann namens Andrej abtransportiert. Seine Familie hatte es geahnt. Ich frage Oleksandr, einen Freund, was er in diesem Augenblick fühlt, ob er die Russen hasse? "Ich weiß nicht, ob ich die Russen hasse. Ich weiß überhaupt nicht, was ich fühle", antwortet er. Solche Antworten hört man oft hier.
Borodjanka ist eine Stadt im Schockzustand. Die Menschen haben noch längst nicht verarbeitet, was geschehen ist. Sie berichten über die Kämpfe, über das Sterben, als ob sie all das Schreckliche nicht an sich heran lassen wollen. Oder heran lassen können. Denn zu viel ist davon passiert. Auch hier war es so, dass die Stadt dafür bestraft wurde, dass sie Widerstand leistete.
Irgendein russischer Soldat hat auch dem Denkmal des ukrainischen Nationalpoeten Taras Shevchenko in den Kopf geschossen. Eine Armee, die gekommen ist, um ein Land von angeblichen Nazis zu befreien, müsste sich anders verhalten. Sie dürfte vor allem nicht morden.