„Chaplin Operas“ im Bockenheimer Depot: Die Elenden
Frankfurter Rundschau
Die Oper Frankfurt mit dem Ensemble Modern und Benedict Masons „Chaplin Operas“ im Bockenheimer Depot.
Es ist vor allem die bedingungslose Hingabe an die Drastik der Situation, die Benedict Masons dreiteiliges (eigentlich tausendteiliges) Werk „Chaplin Operas“ mit den dafür ausgewählten Filmen Charlie Chaplins verbindet. Und Bild und Ton in ein ungewohntes Gleichgewicht bringt.
Zur Missionsversammlung in „Easy Street“ treibt uns Mason alle restliche Glückseligkeit durch das scheppeste aller frommen Lieder aus – ein Lied, in dem viele Lieder stecken, weil Masons Musik wie Chaplins Bilder alle zehn Sekunden eine neue Idee hat. Zum Gesellschaftstanz in „The Adventurer“ ist die Musik so vielfältig, zitatreich und absolut untanzbar, dass die tanzende Gesellschaft nicht mehr einfach lustig wogt, sondern in dem fragilen Wahnsinn vor uns erscheint, in dem sie sich zweifellos befindet. In „The Immigrant“ fetzt Musik aller Herren Länder vorüber, ruhelos wie Menschen, die in der Fremde ihr Heil suchen müssen, gestern und heute.
Denn es ist natürlich das Gleichgewicht eines gemeinsamen Außer-Rand-und-Band-Seins, das Mason sucht. Es ist das Gleichgewicht, das entstehen kann, das sich jedenfalls andeuten kann, wenn der Komponist alle Anschmiegsamkeit vermeidet und sich eine irre Mühe gibt. Man sieht, wie Charlie Chaplin seine hurtigen Filme eben gerade nicht hurtig herstellen konnte, sondern ein fanatischer Arbeiter sein musste. Man hört, wie Benedict Masons Musik wirklich nur so tut, als sei daran irgendetwas spontan oder improvisiert. Sie passt gespenstisch gut zu den Filmen, aber sie ist nicht bloß auch dabei.