Zinssorgen, Rezessionsangst: Börsencrash auf Raten
DW
Es ist bisher kein gutes Jahr für Anleger. Ukraine-Krieg, Lieferketten-Probleme, Zinswende: All das ist ein Cocktail, der den Börsen nicht schmeckt. Kommt es zum großen Crash?
Es war eine denkwürdige Woche an den Finanzmärkten, in die der Deutsche Aktienindex DAX noch mit mehr als 14.250 Punkten gestartet war. Nachdem die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) am Mittwoch die Leitzinsen um sogar 75 Basispunkte angehoben hatte - so stark wie seit 28 Jahren nicht mehr - rauschten am Donnerstag die Kurse weltweit bergab - der DAX rutschte auf knapp mehr als 13.000 Punkte, der amerikanische Dow Jones verlor gegenüber dem Wochenbeginn gut 3000 Punkte auf unter 30.000 Punkte. Und auch, wenn sich die Kurse zum Ende der Woche wieder etwas erholten, ist den Börsianern klar: Diese Berg- und Talfahrt ist noch lange nicht vorbei. Auf Wochensicht verzeichnet der DAX ein Minus von vier Prozent; seit dem Zwischenhoch von Pfingstmontag (06.06.2022) summiert sich das Minus sogar auf knapp zehn Prozent.
"Ich bin froh, dass die Fed Gas gegeben hat", sagt Robert Halver. "Lieber Tabula rasa als ein Schrecken ohne Ende", meint der Kapitalmarktstratege der Baader Bank. Denn der Zinsschritt ist ein Eingeständnis von Fed-Präsident Jerome Powell, dass die Notenbank wie auch viele andere weltweit die Inflationsdynamik lange unterschätzt hatte. "Die Notenbanken sind beim Thema der Inflationsbekämpfung endlich aufgewacht", kommentiert auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Nun müssen die Geldpolitiker jedoch eine sogenannte harte Landung riskieren, die Konjunktur könnte also einen kräftigen Dämpfer erhalten.
Doch anders bekommen sie die Preissteigerung von gut acht Prozent in den USA und im Euroraum wohl nicht mehr in den Griff. Die Inflation dürfte in beiden Wirtschaftsräumen neue Höchststände erreichen, fürchten die Volkswirte der Commerzbank. Denn die Kraftstoffpreise klettern weiter, im Euroraum bleibt auch der Preisdruck bei der Kerninflation hoch, bei der die Ölpreise nicht einberechnet werden. "Auch im vierten Quartal könnte bei der Inflation immer noch eine Sieben vor dem Komma stehen", fürchtet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Die auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) avisierte Zinswende für den Juli haben im Euroraum die Renditen der Staatsanleihen deutlich steigen lassen. So sehr, dass der EZB-Rat sich am Mittwoch zu einer Sondersitzung nur sechs Tage nach seinen regulären geldpolitischen Beratungen traf. Danach kündigte er die Schaffung eines neuen geldpolitischen Instruments an, um der Fragmentierung entgegenzuwirken. Die EZB will also sicherstellen, dass die Geldpolitik in allen Ländern des Euroraums gleich wirkt. Das beruhigte die Märkte zumindest etwas. Die Renditen der Staatsanleihen der hochverschuldeten Länder des Euroraums waren zuvor stark gestiegen und damit auch die Unterschiede - die sogenannten Spreads - zu den Anleiherenditen der Kernländer des Euroraums. "Das Anti-Fragmentierungsinstrument könnte wirkungsvoller werden als zunächst angenommen", heißt es bei der Commerzbank.
Nervös machen die Börsianer auch die Folgen des Ukraine-Krieges. Dass Russland nun die Gaszufuhr nach Deutschland drosselt, dürfte, so hoffen einige, zwar nur als Drohung zu verstehen sein. Dennoch nehmen die Sorge vor einer Rationierung bei Gas im Herbst und Winter und damit die Wahrscheinlichkeit einer Rezession zu, heißt es bei der Dekabank. Der Aktienmarkt fürchte die Zinsen aber weiterhin mehr als den Krieg, meinen die Analysten der DZ-Bank. "Denn Aktien werden im Zuge steigender Anleiherenditen zwar niedriger bewertet, sie sind jedoch keinesfalls günstig geworden."