Starke russische Verteidigung: Ukraine ändert Taktik der Gegenoffensive nach schweren Verlusten
Frankfurter Rundschau
Die ersten Wochen der ukrainischen Gegenoffensive waren für die ukrainische Seite sehr verlustreich. Eine Änderung der Taktik soll Abhilfe schaffen.
Kiew – In den ersten zwei Wochen ihrer Gegenoffensive im Ukraine-Krieg haben die Streitkräfte der Ukraine hohe Verluste eingefahren. Bis zu 20 Prozent der eingesetzten Waffen könnten, nach Angaben westlicher Behörden, in diesem Zeitraum zerstört worden sein. Die Gegenoffensive, die Anfang Juni begonnen hatte, wurde zuletzt immer wieder als zu langsam kritisiert. Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte gegenüber dem britischen Sender BBC zugegeben, dass es „langsamer als gewünscht“ vorangehe. Gleichzeitig waren auch kleinere Erfolge vermeldet worden. Ein Presseoffizier der ukrainischen Streitkräfte deutete darauf hin, dass man sich noch in der „Testphase“ befinde, in der man Schwachstellen des Feindes auslote.
Trotzdem sind die hohen Materialverluste nicht von der Hand zu weisen. Unter dem zerstörten Kriegsgerät seien auch einige der begehrten westlichen Fahrzeuge und Panzer, auf die die Streitkräfte der Ukraine im Ringen um Territorialgewinne mit Russland besonders zählen, wie die US-Zeitung New York Times schreibt. Durch eine Veränderung der Taktik seien die Verluste in den folgenden Wochen auf etwa zehn Prozent der eingesetzten Fahrzeuge zurückgegangen, so die westlichen Behördenvertreter gegenüber der Zeitung. Statt sich in Minenfelder und den gegnerischen Kugelhagel zu stürzen, würden die Ukrainer nun versuchen russische Stellungen aus der Ferne auszuschalten. Dabei kämen verstärkt Artillerie und Langstreckenraketen zum Einsatz.
Sicherlich spiele diese Veränderung eine Rolle, sie verschleiere allerdings auch, dass es eine weitere Erklärung für die Besserung gebe, so die Zeitung. Zwar seien die Verluste zurückgegangen, allerdings habe sich auch das Tempo der gesamten Offensive verringert. Teilweise sei sie sogar ganz zum Erliegen gekommen. Und das, obwohl die Ukraine erst einen etwa acht Kilometer schmalen Streifen zurückerobert habe - bis zum Asowschen Meer, einem Zwischenziel der Mission, sind es jedoch über 95 Kilometer. Würde die ukrainische Armee es bis dort schaffen, könnte sie die Streitkräfte Russlands in zwei Teile spalten. Zudem sind die besetzten Küstengebiete nach eigenen Angaben überlebenswichtig für die Wirtschaft der Ukraine.
Doch das Ziel liegt in weiter Ferne, zu gut sind Befestigungen der Russen, die lange Zeit hatten, um den Streifen bis zur Küste mit Minenfeldern, befestigten Stellungen, Panzerfallen und Schützengräben zu überziehen. Angesichts dieser Befestigungen sei es nicht verwunderlich, dass die Ukraine am Anfang der Gegenoffensive so hohe Verluste einfahre, schrieb die Zeitung unter Berufung auf Militärexperten. Zudem setzte die russische Armee verstärkt auf Angriffshubschrauber und Aufklärungsdrohnen. Doch nach wie vor fehlen der ukrainischen Armee moderne Kampfjets.
Alle würden auf einen großen Durchbruch hoffen, betonte ein Soldat gegenüber der US-Zeitung und mahnte, man müsse die Wichtigkeit von langsamen und stetigen Fortschritten erkennen. Zumindest könne man aus dem hohen Verlust vom Anfang der Mission nicht auf ein Scheitern schließen. Denn Militärexperten würden seit langem klarstellen, dass die ersten 25 Kilometer die schwersten sein würden, schreibt die New York Times. In dieser ersten Phase des Angriffs seien Probleme nicht zu vermeiden. Angreifende Truppe würden immerhin dreimal mehr Kampfkraft benötigen als die Verteidiger.