Scholz in Kiew: Per Zug in Richtung Geschichtsbücher
DW
Bei seinem Besuch in Kiew stand Bundeskanzler Olaf Scholz wegen verzögerter Waffenlieferungen an die Ukraine stark unter Druck. Am Ende stand der EU-Beitritt des Landes im Mittelpunkt und machte die Reise zum Erfolg.
Als Olaf Scholz am Donnerstagmorgen in Jeans und schwarzem Hemd mit kurzen Ärmeln aus dem Nachtzug am Kiewer Hauptbahnhof ausstieg, war ein Ziel seiner Reise bereits erfüllt. Die Tatsache, dass sie überhaupt stattgefunden hat, sei ein Erfolg, so Beobachter. Während andere Staatchefs nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bereits hier waren, ließ sich Scholz viel Zeit - und wurde dafür zu Hause und im Ausland scharf kritisiert.
Der Hintergrund: Verstimmungen wegen einer Ausladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei einer Reise nach Kiew im April. Diese Episode der deutsch-ukrainischen Beziehungen scheint spätestens nach dem Besuch zumindest teilweise überwunden. Scholz war unterwegs mit dem französischen Präsidenten Macron und dem italienischen Premier Draghi, der rumänische Präsident Klaus Johanis kam ebenfalls.
Das umstrittene Thema der Waffenlieferungen bleibt. Wer dachte, Scholz würde in Kiew die Zündschlüssel von neuen deutschen Panzern aus der Tasche holen und seine Kritiker überraschen, wurde enttäuscht. Neue Waffenlieferungen hat der Bundeskanzler auf der Pressekonferenz nicht versprochen, obwohl der Bedarf daran in der Ukraine wegen schwerer Kämpfe im Donbas täglich steigt. Er wiederholte die früheren Zusagen: Haubitzen, Gepard-Panzer und Mehrfachraketenwerfer. Lieferzeiten nannte er nicht. Der französische Präsident Macron versprach neue Haubitzen zu liefern, mehr aber auch nicht.
Ob in Irpin, einem Vorort von Kiew, der im März von der russischen Armee fast vollständig besetzt und stark beschossen wurde, oder auf den Straßen Kiews mit ihren Sandsäcken und vielen Militärs- der Kanzler konnte den Krieg auf seiner Reise weder übersehen noch überhören. Zwar schien in Kiew die Sonne und die Kaffeehäuser waren gut besucht, doch ein Luftalarm erinnerte gleich nach der Ankunft der Gäste an die Gefahr russischer Raketen. Rund fünfzehn würden die Ukraine täglich treffen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Pressekonferenz auf einer Wiese in der Nähe des Mariinski Palast. Kurz davor heulten die Sirenen wieder auf.
Und doch wurde der Besuch ein Erfolg, denn Scholz brachte etwas mit, was Kiew in diesen Tagen ebenfalls dringend braucht. Es geht um die politische Solidarität führender EU-Länder bei der ukrainischen Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft. In der kommenden Woche soll der EU-Gipfel darüber entscheiden, ob die Ukraine den begehrten Kandidatenstatus bekommt.