Mehr als 100 Festnahmen in der Türkei: Polizei geht brutal gegen Pride-Teilnehmende vor
Frankfurter Rundschau
Die türkische Polizei löst Pride-Proteste brutal auf. Das ist nicht verwunderlich. Präsident Erdogan und seine Regierung hetzen seit Jahren gegen queere Menschen.
Istanbul - Trotz Verbots fand am Sonntag die jährliche Pride-Parade in Istanbul statt. Bereits im Vorfeld hatte die Polizei weite Teile der Millionenmetropole abgeriegelt, um die Versammlung zu verbieten. Dutzende Teilnehmende wurden auch diesmal festgenommen. Dabei ging die Polizei brutal vor. Angesichts der Hetze von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen queere Menschen in den vergangenen Monaten verwundert es nicht, dass auch in diesem Jahr die Parade durch Polizeigewalt verhindert werden sollen. Immer wieder hatte Erdogan auch der Opposition vorgeworfen, queer zu sein: „Um Lob von den internationalen Menschen zu bekommen, habt ihr versucht, die LGBT zu legitimieren, die eine Bedrohung für die Gesellschaft ist. Ihr seid LGBTler, auch die an eurer Seite sind LGBTler.“
Die Worte des mächtigen Mannes in Ankara verwundern die Exiljournalistin und Menschenrechtlerin Rachel Hebun Özdemir nicht. „Das ist die Art und Weise, wie Erdogan Politik macht. Er braucht ein Feindbild. In der Türkei existieren keine Werte mehr wie Freiheit und Gleichheit“, so Özdemir im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA. Özdemir, die selbst Transgender ist, musste 2017 die Türkei verlassen, weil sie ins Visier der Justiz und türkischer Nationalisten geraten ist.
Auch der Gouverneur von Istanbul, Davut Gül, machte in seinem Tweet gestern klar, dass queere Menschen für ihn eine Gefahr seien. „Unsere nationale Zukunft hängt davon ab, dass die Institution Familie mit unseren nationalen und geistigen Werten lebendig bleibt. Wir werden keine Aktivitäten zulassen, die die Institution Familie schwächt. 113 Personen wurden festgenommen, weil sie Proteste mit der Absicht der Propaganda organisiert haben.“
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) beobachtet seit langer Zeit die Hetze gegenüber queeren Menschen. „Die Regierung hat ihren hasserfüllten Diskurs gegen die LGBT-Gemeinschaft noch weiter verschärft …“, heißt es unter anderem auf der Internetseite von HRW. Ähnlich sieht es auch Amnesty International. „Politiker*innen und Regierungsbedienstete hielten regelmäßig Hassreden gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen und starteten Verleumdungskampagnen gegen sie, wobei bestimmte Medien eine verstärkende Rolle spielten.“ Das ging sogar so weit, dass die türkische Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK im September 2022 einen Werbespot unterstützte, in dem LGBTI+ als „Virus“ bezeichnet und beschuldigt wurde, die „Zerrüttung von Familien“ zu verursachen.
Menschenrechtsorganisationen verurteilten dagegen die brutale Vorgehensweise der Polizei. „Die Pride-Demonstrationen in Istanbul und Izmir konnten wieder nur unter schweren Polizeiangriffen stattfinden“, heißt es in einer Mitteilung des Menschenrechtsvereins IHD (insan haklari dernegi). „Einige der Inhaftierten wurden geschlagen, schwerer Gewalt ausgesetzt und in Handschellen abgeführt“, schreibt die IHD in einer Stellungnahme zu den Geschehnissen.