Hanya Yanagihara „Zum Paradies“: Das Ende aller Bürgerrechte
Frankfurter Rundschau
Hanya Yanagiharas Roman „Zum Paradies“ zeigt bisweilen Nähe zu Verschwörungstheorien.
Es klingt ein wenig steif, zu behaupten, im neuen Roman von Hanya Yanagihara gehe es um Beziehungen – Beziehungen, dieses spröde Wort für Partnerschaften. Liebe aber gibt es nur in den ersten beiden Teilen des fast 900-seitigen Werks. Im dritten, fast so lang wie die anderen zusammen, bringt die zentrale Figur nicht das große, von der Literatur oft besungene Gefühl für ihren Partner auf. Obwohl dieser Teil weit in der Zukunft spielt, steht er unserer Gegenwart gespenstisch nah: Pandemien zwingen zu äußerster Hygiene.
Hanya Yanagihara, Jahrgang 1974, deren erste Romane „Das Volk in den Bäumen“ und „Ein wenig Leben“ (in umgekehrter Reihenfolge 2017 und 2019 auf Deutsch erschienen) für Aufsehen sorgten, sucht die Extreme. Schmerz, Ungerechtigkeit, Forscherehrgeiz, Gewalt, auch Liebe steigern sich in ihren Büchern oder kippen in einer Weise, dass die Wirkung bei der Lektüre recht heftig ist. Mit dem neuen Titel führt sie nun „Zum Paradies“. Die Bedeutung des Wortes liegt ohnehin im Auge der Betrachtenden. Im Roman fällt es dreimal eher beiläufig und deutet auf ein Ende im Ungewissen.
Das Ganze beginnt wie ein Roman aus dem späten 19. Jahrhundert. So heißt der erste Teil „Washington Square“, wie der 1880 erschienene Roman von Henry James. Und an diesem Platz im gemütlichen Greenwich Village von New York konzentriert sich auch die Handlung. Yanagihara spielt hier das Muster der Beziehungen des literarischen Vorbilds nach, wo es um Eheanbahnung und Mitgift geht, um den wahren und vorgetäuschten guten Charakter des Kandidaten für die Braut.
David hat einen Bruder und eine Schwester, die bereits verheiratet sind. Ihre Eltern sind früh verstorben, der Großvater kümmert sich um sie. Nun möchte er auch für David den passenden Partner finden, schon des Erbes wegen. Ja, Partner. In Yanagiharas „Freistaaten“ im Osten von Nordamerika, zu denen auch dieses New York der 1890er Jahre gehört, ist die gleichgeschlechtliche Ehe selbstverständlich. Der Held in ihrem Roman „Ein wenig Leben“ war auch schwul und dadurch ein Außenseiter. Diesmal aber muss sich das Hirn beim Lesen einfinden und das zumindest für die Zeit als ungewöhnlich Wahrgenommene als normal begreifen – ein bemerkenswerter Trick der Autorin.
Für David, dessen Großvater ein Bankhaus gehört, bedeutet Fremdheit vor allem Armut, wie sie die Flüchtlinge aus dem Rest Amerikas erleben. Als er seinen heimlichen Geliebten Edward aufsucht, findet er, das „hätte ebenso gut in Peking sein können oder auf dem Mond“. So wenig vertraut ist ihm dieser Teil New Yorks. Ihm eigentlich zugedacht ist ein vornehmer älterer Mann, Charles. Der löst bei ihm bald Yanagihara-typische extreme Gefühle aus, „das Beisammensein mit ihm“ fühlt sich an wie „eine köstliche Selbstbestrafung, ein geradezu religiöser Akt der Erniedrigung“.