Bammel vor der Kurve 13
Süddeutsche Zeitung
Im Training ist sie noch gestürzt - doch als es ernst wird, erwischt Natalie Geisenberger viermal die schwierigste Stelle der Rodelbahn. Sie zählt nun, was olympische Einzel-Olympiasiege betrifft, zu den besten deutschen Athletinnen.
Da war sie wieder, diese klare Art von Natalie Geisenberger, mit ein paar Worten die Luft rauszulassen aus den Interpretationen des Sports. Die hat sie immer gerne korrigiert, wenn es um eine korrekte Darstellung ging. Und ähnlich war es nun wieder, als sie auf die tückische Rodelstrecke von Yanqing angesprochen wurde. Ja, sie sei nervös gewesen vor dem ersten Lauf, sagte Geisenberger, "brutal nervös" sogar, sie habe fast nichts gegessen, aber nicht wegen des Rennens, "sondern wegen der Kurve da unten, Ausfahrt 13".
Vereinfacht gesagt, musste Geisenberger nur viermal diese Ausfahrt treffen, denn ihre Erfahrung, ihre Lenkkunst und ihre optimale Lage auf dem Schlitten hatten sich als überlegen erwiesen. Nur vor der 13, vor der hatte sie Respekt, und diese Passage war dann auch für sie der Schlüssel für Gold, für ihren dritten Olympiasieg als Einzelrodlerin. Die restliche Konkurrenz hatte sie in diesen Tagen sukzessive abgehängt. Silber gewann ihre Berchtesgadener Team- und Trainingskollegin Anna Berreiter vor der Russin Tatjana Iwanowa. Berreiter, 22, hat erstmals vor größerem Publikum bewiesen, dass sie für den Bob- und Schlittenverband Deutschland eine der Erfolgsrodlerinnen der Zukunft werden könnte.
Zwei Frauen, zwei Medaillen: Anna Berreiter (links) bejubelt Silber, Natalie Geisenberger neben ihr Gold.
Geisenberger zählt nun, was olympische Einzel-Olympiasiege betrifft, zu den besten deutschen Athletinnen. Begonnen hatte die 34-Jährige die vergangenen Tage bis zum Erfolg aber mit latenter Sorge und dann sogar einem Sturz. Was so leicht aussieht, war in Wirklichkeit Schwerarbeit, wie sie zuvor schon die Rodel-Männer erlebt hatten. Zwei Nächte lang schwitzt man und wacht aus dem Tiefschlaf auf, wohin diese Bahn mit ihrem speziellen Spannungsbogen die Fahrer auch weiter verfolgt. Denn zwölf Kurven lang geht es recht locker dahin, und dann kann alles plötzlich aus sein. Und im Training war der Miesbacherin dann exakt das passiert, wovor sie größte Bedenken hatte. Sie stürzte, ausgangs der 13.
Darüber kann man als Rodlerin verzweifeln oder die Erfahrung der vielen Jahre nutzen. Geisenberger hatte in ihrer Laufbahn ja schon hunderte, tausende Male knifflige Stellen derart innerlich gespeichert, dass sie auch mit 130 km/h durchfand. Und diesmal wusste sie auch, warum sie den Schlitten gegen die linke Bande gesetzt hatte. Denn das Sonnensegel veränderte tagsüber im Training die Lichtverhältnisse, Geisenberger machte dies schnell als Ursache aus, die aber, wenn es ernst wird, in den Abendrennen, keine Rolle spielt.