„Diversity United“ in der Neuen Tretjakow-Galerie in Moskau: „Russland ist Europa. Und Europa Russland“
Frankfurter Rundschau
„Diversity United“ in der Moskauer Neuen Tretjakow-Galerie ist mehr als nur eine Kunstausstellung. Es ist die größte Insel russisch-europäischen Miteinanders in der Eiseskälte des neuen politischen Winters zwischen Ost und West.
Es beginnt monumental langsam. Schlafwagen kriechen auf einer Kinoleinwand im Schritttempo heran, Stahllafetten schweben durch die Nachtluft, Arbeiter bugsieren sie auf Gleise, mit gelassenen, müden Gesichtern. Die Videoinstallation des Moldawiers Pavel Braila steht am Eingang der Ausstellung und heißt „Schuhe für Europa“. 26 Minuten lang zeigt sie, wie auf einem Bahnhof an der früheren sowjetischen Grenze ein Passagierzug von der 1,52 Meter breiten Bahnspurbreite Russlands auf die 8,5 Zentimeter schmalere Spur des europäischen Schienennetzes gesetzt wird. Jahrhundertealte technische Routine gerät zum Zeremoniell, das West- und Osteuropa füreinander öffnet.
Die Ausstellung in der Neuen Tretjakow-Galerie heißt „Diversity United“, vereinte Vielfältigkeit. Es ist eine auch für Moskauer Verhältnisse gewaltige Ansammlung moderner europäischer Kunst. Und zugleich der kühne Versuch, mit künstlerischen Mitteln die politisch immer weiter auseinanderklaffenden Spurbreiten zwischen Russland und Westeuropa wieder zusammenzubringen.
Etwa 300 Werke von 90 zum Teil weltbekannten Künstlern aus 34 Staaten sind hier versammelt. Oder 15 Lkw und 15 Anhänger voller künstlerischer Hightech, Lichtraum- oder Vierbandvideoinstallationen, auch die Logistik ist monumental. „Drei Wochen haben wir aufgebaut, wir haben im Museum gewohnt“, sagt Sergei Fofanow, einer der Kuratoren der Neuen Tretjakow-Galerie. Vorher warf Covid-19 den Zeitplan über den Haufen. Eigentlich hätte „Diversity United“ zuerst in Moskau gezeigt werden sollen, so aber kam die Sammlung aus Berlin, wo sie im Sommer in früheren Hangars des Tempelhofer Flughafen zu sehen war, auf 8000 Quadratmetern. Die Tretjakow-Galerie hat dieselbe Welt auf etwa 4500 Quadratmetern platziert. Erfolgreich. Man kann sich in dem Labyrinth noch immer verlaufen, ohne sich beengt zu fühlen.